Skip to content

Es war ein Regentag. Sehr nass. Sehr schwarz. Bockiges, durchsaugtes Elend. Ein bestialischer Himmel. Ich wurde ganz zerstimmt. Stöberte gewisse alte Leiden aus der warmen Asche der Mitvergangenheit, – borgte ein paar neue Sorgen aus der Zukunft und stellte alles unter das mächtige und vorzüglich konstruierte Mikroskop einer morbiden Phantasie, das eine Vergrößerung des Jammers bis zum Zehntausendfachen ergibt und bei entsprechender Umstellung eine ebensolche Verkleinerung aller Freuden.

Ein Instrument allerersten Ranges

Ich sagte der Welt ins Gesicht, dass nicht der letzte Hund in ihr leben möchte, dass sie ein Abscheu und überhaupt ein Luder sei. Dass ich ein letztes Gericht, trotz der daran haftenden schmierigen Unsterblichkeit, lediglich wünsche, um einmal der zuständigen Behörde ein paar kräftige Worte sagen zu können.

In etwas weniger als einer Stunde hatte ich einen weiten und geräumigen Hades mir eingerichtet – die Wände bis oben ein Mosaik aus den Scherben aller menschlichen Hoffnungen, das Glück im Kehrichteimer, die Liebe eine russende Stallaterne in einem düsteren Winkel.

Endlich ward das alles so grauenhaft, dass mir beifiel, … jetzt sei es eigentlich grauenhaft genug. Es war jedenfalls mehr, als ich ertragen konnte. Ich sprach in meinem lieben Herzen: „Ich bin zufrieden.“

Alles, was da zu holen war, habe ich geholt! Alle Tiefen dieses Grames ausgenossen. Warum jetzt überhaupt noch das ganze Düster? Gestern schien die Sonne recht gut. Dieselbe Sonne scheint doch auch heute irgendwo. Die bestialischen Regenwolken sogar sind auf der andern Seite von ihr beglänzt. Auch ich habe heute das gleiche Bewusstsein wie gestern. Bin ich ein Heliometer oder ein Hygrometer, dass etwas Licht, etwas Feuchtigkeit der Luft meine Stellung total verändern?

Gewiss, Tod und Schmutz der Landschaft dringen auch in den Menschen… Niemand geht in einen dunklen Keller, um sich einen fröhlichen Tag zu machen.

Aber es gibt doch Wesen, die solchem Druck von außen widerstehen, und sie sind der Natur sogar näher! Der Vogel dort singt ganz vergnügt im Regen. Wie macht er es, in Laune zu bleiben?

Unter den Leuten in mir ist einer, der zuweilen rät und mancherlei vorschlägt Er ist kein besonderer Liebling! Es fehlt ihm vor allem an Takt. Es liegt etwas Zudringliches in der Art, wie er stets auftaucht, wenn ich gerade etwas anderes vorhabe, von dem er nichts zu wissen braucht.

„Wenn Sie mir gestatten wollten, einen Vorschlag zu machen“, sagte er. „Ich will mit meinem Rat um Gott nicht lästig fallen. Ich weiß, es ist unangenehm. Ich kann’s selber nicht ausstehen. Es hat so eine predigthafte Ich-bin-besser-als-Du-Art an sich und ist überhaupt schwer hinunterzuschlucken. Außerdem gibt’s schon so viel davon. Jeder scheint ein Probepaket in der Tasche zu tragen nicht für sich – für die anderen.

Und doch möchte ich mir gestatten, eine Bemerkung zu machen, und hören Sie auf mich, wie Sie etwa auf den Gesang jenes Vogels hören.

Sie wissen, was Sie wollen. Das ist schon sehr viel. Das ist sogar ausgezeichnet. Ein direkter Gewinn. Sie wollen Ihre Gedanken aus der düsteren Furche kriegen, in der sie jetzt laufen. In Ihrem Fall ist es ein seltenes Glück, dass Sie das überhaupt wollen können. Die meisten Leute sind viel zu genusssüchtig dazu und gestatten ihrem Geist, immer den gleichen düsteren Weg auf und ab zu wandeln – Peripathetiker der Betrübnis und ihrer Orgien. Denn wie eine greise Leopardin ihr letztes Junge hütet der Mensch seine Kränkung gegen jeden, der sie ihm abzunehmen droht. Die Welt ist so voll ungesühnter Schuld, weil den Leuten erlittenes Unrecht um keinen Preis mehr feil ist. Wer aber hat, dem wird noch dazugegeben, sagt schon die Schrift. Gleiches zieht geheimnisvoll das Gleiche an, darum hüte sich der Gourmet des Leidens – seine Passion ist die ruinöseste, die es gibt. Sie aber wollen Ihre Stimmung aus dem Düster ziehen, auf das eine helle Zukunft Raum finde.

So fahren Sie jenen Schubkarren zu dem Holzplatz: Fahren Sie ihn, so aufmerksam Sie nur können. Machen Sie einen Sport daraus – füglich die ernsteste Sache der Welt; fahren Sie ihn durch das Stoppelfeld zum Holzplatz mit dem geringstmöglichen Aufwand an Arbeit, mit Intelligenz und List, um alle Löcher, Steine und Pfützen in der Furche zu vermeiden; werfen Sie Ihr ganzes Bewusstsein in den Schubkarren! Beim Holzplatz angelangt, laden Sie ihn mit Holz, schichten Sie die Scheite vorsichtig und intelligent bis zur größtmöglichen Höhe und doch so klug im Gefüge, dass keines ins Rutschen kommen kann. Dann schieben Sie ihn wieder durch den Acker nach Hause, mit gleicher Aufmerksamkeit. Wenn Sie das Holz ins Haus tragen, so werfen Sie es nicht beim Herde nieder, als schleuderten Sie eine Schlange von sich ab! Schichten Sie einen respektierlichen netten, würdigen Haufen, und dann sehen Sie einmal nach, ob Sie nicht eine große Portion an innerem Horror zugleich mit diesem Holz abgeladen haben.“

„Das hat etwas von dem Rezept der sieben Bäder im Jordan, wie sie dem biblischen General für sein Leiden verschrieben wurden“, dachte ich bei mir; „aber da diese halfen, – warum sollte ich es nicht mit der Schubkarrenkur versuchen.“

Es wurde die schwerste Tat meines Lebens! – Ich schob den Karren eine kurze Strecke wie im Spiel, so ernst konzentriert, trieb die größte Menge „go“ aus dem Vehikel, es gab sein Bestes – ein Rasseschubkarren -, vermied Rillen, Steine und größere Löcher, ging im Terrain wie ein irisches Vollblut. Mir wurde gleich um vieles leichter. Mir schien, der Karren schöbe mich aus dem Hades. Aber von ungefähr, ganz unbewusst, ließ die neue Spannung nach, – die Wachsamkeit ob meinem Werk. Wir liefen wieder in zwei getrennten Furchen – der Schubkarren und ich – er in der seinen, meine Gedanken wieder in der alten, steinigen, pfützigen Rinne von Bedauern und Furcht.

„Die holden Tage, die nie wiederkehren würden.“ Und „wozu das alles“. Wie die Abwesenden nie wiederkommen oder noch ärger: verändert wiederkommen. Die ganze Sinnlosigkeit. Die fliehenden Jahre, das Altwerden, die „Oh je’s“ und die „Ach ja’s, so ist das Leben“, mit denen immer irgendeine ranzige Erzählung zum Schluss den Schwanz einkneift

„Da haben Sie’s“, sagte der Mentor, „schon wieder in der Rille; aber das macht nichts – es ist Gewohnheit, lieb und alt! Die Türen schwingen so leicht auf in den Hades, sind immer frisch geölt zum Gebrauch. Die Türen ins Frohe dagegen sind verrostet. – Viel Arbeit in Sicht! Versuchen und fehlen und fehlen und versuchen und fehlen – fehlen -fehlen – wieder versuchen – und wieder und wieder – eine lange Zeit. Es gibt keinen anderen Weg. Sichere Heilung zum Schluss, – aber viel Zeit, um die Heilung dauernd zu machen. Es ist ein Stück vom „Auswirken des Heils“. Hat man es erst zuwege gebracht, die Gedanken auf eine freigewählte Sache, sagen wir, zehn bis fünfzehn Minuten zu richten – dann bleiben sie von selbst dort, – bis man sie abberuft.“

Wieder ging ich zu Werk- schob etwa ein Dutzend Schritte weit dann kam meine Lieblingskränkung dem Schubkarren in den Weg. Die hab‘ ich so gern, – da ließ ich das Schieben – Schieben sein. Sie sagte (und sie hat ja so recht): „Wenn Soundso nur nicht das und das gesagt hätte. Ich weiß, ich war ja teilweise im Unrecht (ich bin ja so gerecht!). Aber nie wäre ich so weit gegangen, zu sagen – oder zu denken – oder zu tun… “

„Ja, wo sind denn Sie schon wieder“, sagte der Berater, „beim Schubkarren gewiss nicht.“

Ich trat wieder an. Es ist doch wirklich eine Schande, sein eigenes Denken nicht zehn Sekunden beherrschen zu können. Wie weichlich – wie schwächlich.

„Sie sind schon wieder in einer anderen Furche“, mahnte der Mentor „Denken Sie an Ihre Arbeit und nicht an Ihre Schwächen.“

„Ich dachte ja nur eben, wie recht Sie haben.“

„Auch das geht Sie jetzt gar nichts an, ob ich recht habe. Der Schubkarren geht Sie an. Bleiben Sie beim Schubkarren. Wirken Sie durch ihn Ihr Heil aus – das Heil der Stunde – das Heil der Minute.“

Ich schob zwölf Schritte weiter. Dann stand meine Lieblingsfurcht auf- schwarz wie ein Berggewitter, und ehrfürchtig um düstert träumte meine Seele: „Alles wird schief gehen – immer geht es schief. Bei meinem Pech. Ich bin in diese falsche Stellung geraten; niemand wird mir glauben! Was soll ich sagen! Was… “

„Schubkarren – Schubkarren“, erklang es vom Mahner her. „Zum Henker mit dem Schubkarren“, rebellierte ich. „Ich will doch in Frieden über meine Unannehmlichkeiten nachdenken dürfen, sonst hab‘ ich doch gar nichts von ihnen. Und überhaupt. Was für eine skurrile Idee, alle Aufmerksamkeit auf eine so untergeordnete Sache wie diesen zwecklosen Karren richten und darüber die großen Angelegenheiten des Lebens vernachlässigen!“

„Heiliger Mumpitz“, sprach hin wiederum der Mentor. „So lassen Sie sich denn sagen, dass die großen Angelegenheiten des Lebens das sind, was Sie die kleinen nennen. „Großzügig“, das Pracht- und Glanzwort des Dilettantismus. An die „Zukunft denken“, eine wohllautende Umschreibung für die Unfähigkeit, „in der Gegenwart“ zu denken. Jetzt gleich… JETZT… JETZT… JETZT, das ist die einzige Wirklichkeit, die wir kennen – die einzige, die wirkt. Aus den Maschen des Alltäglichen, Allstündlichen webt sich das Schicksal. Der Kiesel auf der Schiene bringt den Zug zum Entgleisen. Das bisschen Arsenik, aus Nachlässigkeit in einem Schrank vergessen und statt Backpulver verwendet, tötet die ganze Familie. Die Leiter, die Sie zu bequem waren, ordentlich anzulehnen, bricht Ihnen das Genick. Der Löffel voll Speise, den Sie hinunterschütten wie Korn in eine Mühle, gibt Ihnen die Magenverstimmung, an der dann die großen Freuden und die großen Unternehmungen scheitern. Ein undeutlich geschriebener Buchstabe, der aus „F“ügen ein „L“ügen macht, bringt Sie in die ernstesten Konflikte mit Ihrem besten Freund.“

So keifte der Mentor weiter, indes ich, wieder vom Schubkarren fortwandernd, mich in eine zwar nur mögliche, dann aber gewiss sehr peinliche Unterredung mit einer gewissen Persönlichkeit hineinträumte: „Wenn ich ihn sehen werde – wenn ich zu ihm gehe, soll es in einer milden und geduldigen Stimmung geschehen, in einem versöhnlichen Geist, – schon im vorhinein will ich mich in diesen Gemütszustand bringen und ihn festhalten.“

„Sie haben sich nicht im vorhinein in Gemütszustände zu bringen“, sagte der Mentor. „Sie haben jetzt keine Gedanken und keine Worte vorwegzunehmen, die Sie in zehn Tagen denken oder sprechen werden… Denn so Sie ein lebender Mensch sind und für zwei Cents Temperament haben, werden Sie dann doch ganz etwas anderes denken und sagen – aber Sie führen das Theater eben lieber jetzt allein auf, wo der Gegner nicht dabei ist, um der Heldenrolle ganz sicher zu sein.

Sie haben aber jetzt den Schubkarren zu führen. Alle Fähigkeiten daran zu wenden. Lassen Sie die Zukunft für sich selber sorgen.

Haben Sie doch Rücksicht auf Ihre bedauernswerten Arme und Beine. Welche Muskelschmerzen für morgen sammeln Sie mit diesen imaginären Gesprächen. Kümmern Sie sich nicht um das, was sein wird, sondern um den Schubkarren.“

Aber ich konnte es nicht. Ich versagte. Mehr als zehn Schritte weit kam ich nicht, ohne dass so eine miserable Nebenidee, Nebenlaune, Nebensorge hereinschlüpfte und das, was ich meinen Geist nenne, aus den Angeln hob.

Ich konnte das Spiel nicht gewinnen.

Aber mein Vertrauen in die Heilkraft der Schubkarrenmethode steht bergefest nach wie vor.

Man muss sie nur lange genug fortsetzen.

Vom Streichen des HausesInhaltsverzeichnisOmega

 

An den Anfang scrollen