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Die falsche Persönlichkeit

Aus dem Buch „Mut“ von OSHO

Osho - die falsche Persönlichkeit

Niemand ist so, wie er von der Existenz vorgesehen war. Die Gesellschaft, die Kultur, die Religion, die Erziehung haben sich alle gegen die Unschuld der Kinder verschworen. Sie sind übermächtig. Das Kind ist hilflos und abhängig, daher können sie alles aus ihm machen, was sie wollen. Sie erlauben dem Kind nicht, seiner natürlichen Bestimmung entgegenzuwachsen. Sie zielen einzig und allein darauf ab, menschliche Wesen in nützliche Roboter umzuformen. Wer weiß schon, ob ein Kind sich für die Interessen der Herrschenden nützlich erweisen wird, wenn man es in Ruhe aufwachsen lässt? Die Gesellschaft ist nicht bereit, dieses Risiko einzugehen. Sie packt das Kind und beginnt es so zu formen, dass es für die Gesellschaft nützlich ist.

In einem gewissen Sinn tötet sie die Seele des Kindes ab und gibt ihm eine falsche Identität, damit es seine Seele, sein wahres Wesen nie vermisst. Diese falsche Identität ist ein Ersatz. Doch dieser Ersatz ist nur dort nützlich, wo er geformt worden ist — unter anderen Leuten. Sobald du allein bist, fängt das Falsche an zu zerbröckeln und das unterdrückte Wahre beginnt sich wieder zu melden. Daher die Angst vor der Einsamkeit.

Keiner will einsam sein. Jeder will zu einem Kollektiv gehören — und nicht nur zu einem, sondern zu möglichst vielen. Zu einer religiösen Gemeinschaft, zu einer politischen Partei, zu einem Rotary Club und zu vielen weiteren kleinen Gruppierungen, denen man sich anschließen kann. Man möchte sich vierundzwanzig Stunden am Tag unterstützt fühlen, denn das Falsche kann ohne diese Unterstützung nicht bestehen. Sobald du allein bist, kommst du auf die verrücktesten Gedanken. So viele Jahre hast du dir ein bestimmtes Bild von dir gemacht, und auf einmal beginnst du in einem Moment der Einsamkeit zu spüren, dass du das gar nicht bist. Das macht Angst — wer bist du denn dann?

Und das jahrelang unterdrückte Echte braucht etwas Zeit, um sich zu manifestieren. Diese Lücke zwischen den beiden Zuständen wird von den Mystikern als „die dunkle Nacht der Seele“ bezeichnet — ein sehr treffender Ausdruck. Du bist nicht mehr das Falsche und noch nicht das Wirkliche. Du stehst dazwischen und du weißt nicht, wer du bist. Vor allem im Westen ist das ein recht schwieriges Problem, denn hier wurde keine Methodik entwickelt, um das Echte so schnell wie möglich ans Licht zu bringen und so die dunkle Nacht der Seele abzukürzen.

Von Meditation hat der Westen keine Ahnung. Und Meditation ist nur ein Name dafür, allein zu sein und still zu warten, bis sich das Wirkliche durchsetzt. Du tust eigentlich nichts, du entspannst dich nur ganz still, denn alles, was du tust, entspringt deiner falschen Persönlichkeit. Dein ganzes Tun ist seit so vielen Jahren daraus entsprungen. Es ist eine sehr, sehr alte Gewohnheit.

Gewohnheiten sterben schwer. So viele Jahre hast du mit einer falschen Persönlichkeit gelebt, die dir von Menschen verpasst wurde, die du geliebt und geachtet hast… Nicht dass sie dir absichtlich etwas Böses zufügen wollten. Sie meinten es wirklich nur gut mit dir, aber leider hatten sie nicht einen Funken Bewusstheit. Deine Eltern, deine Lehrer, die Priester und die Politiker waren keine bewussten Menschen. Sie handelten unbewusst. Und in den Händen eines unbewussten Menschen verkehrt sich selbst eine gute Absicht in Gift.

Immer wenn du also allein bist, kommt eine tiefe Angst hoch, denn plötzlich beginnt das Falsche zu verschwinden. Und das Echte braucht ein bisschen Zeit. Du hast es vor so vielen Jahren verloren. Du musst bedenken, dass da eine Kluft von vielen Jahren überbrückt werden muss.

In dieser Angst befürchtest du deinen Verstand, deine geistige Gesundheit, deinen Kopf, deine Persönlichkeit zu verlieren, denn aus all dem besteht dein falsches Selbst, das die anderen dir gegeben haben. Alles scheint sich aufzulösen. Du glaubst verrückt zu werden. Also fängst du sogleich an, irgendetwas zu tun, nur um dich beschäftigt zu halten. Wenn schon keine anderen Leute da sind, dann tust du wenigstens etwas, damit das Falsche beschäftigt bleibt und nicht zu verschwinden beginnt.

Aus diesem Grund tun sich die Leute so schwer mit ihrer freien Zeit. Fünf Tage arbeiten sie und hoffen, dass sie sich am Wochenende erholen können, doch genau dann ist es am Allerschlimmsten. An Wochenenden passieren mehr Unfälle, verüben mehr Menschen Selbstmord, wird mehr getötet, mehr gestohlen und mehr vergewaltigt. Merkwürdig! Fünf Tage sind die Leute beschäftigt, ohne dass es große Probleme gibt. Doch am Wochenende haben sie die Wahl, sich entweder mit etwas zu beschäftigen oder sich zu entspannen. Aber Entspannung macht Angst, weil dann die falsche Persönlichkeit verschwindet. Halte dich also mit irgendetwas beschäftigt — Hauptsache, du machst etwas.

Die Leute strömen zu den Badestränden — Stoßstange an Stoßstange, ein kilometerlanges Verkehrschaos. Und wenn du sie fragst, wohin sie gehen, so wollen sie endlich der Masse entfliehen, und zwar alle auf einmal. Alle sind auf dem Weg zu einem einsamen, ruhigen Plätzchen.

Eigentlich wäre es zu Hause viel einsamer und ruhiger gewesen, weil sich dummerweise alle miteinander auf die Suche nach einem einsamen Plätzchen gemacht haben. Und alle beeilen sich wie wahnsinnig, denn zwei Tage sind bald vorbei. Sie müssen irgendwohin — frag mich nicht wohin.

Die Strände sind überfüllt. Nicht einmal in der Stadt herrscht ein solches Gewimmel. Und seltsamerweise fühlen sich die Leute pudelwohl bei ihrem Sonnenbad. Zehntausend Leute nehmen an einem schmalen Stück Strand ein Sonnenbad und entspannen sich. Wäre einer von ihnen allein dort, könnte er sich nicht entspannen. Doch er weiß, dass sich rundherum tausend andere Leute entspannen — dieselben Leute wie im Büro, dieselben Leute wie auf der Straße oder in der Stadt.

Die Menge ist absolut essenziell, damit das falsche Selbst existieren kann. Sobald es sich einsam fühlt, beginnst du auszurasten. Genau dann wäre es gut, wenn du etwas von Meditation verstehst.
Und mach dir keine Sorgen, denn das, was verschwinden kann, hat sowieso keinen Wert. Es ist sinnlos, daran festzuhalten. Es gehört dir nicht. Das bist nicht du.

Wenn das Falsche verschwunden ist und das frische, unschuldige, unverdorbene Wesen seinen Platz einnimmt — das bist wirklich du. Die Frage, wer du wirklich bist, kann dir niemand anderes beantworten. Doch dann wirst du es wissen. Alle Meditationstechniken sind eine Hilfe, um das Falsche zu zerstören. Sie geben dir nicht das Echte. Das Echte kann einem niemand geben. Was dir gegeben werden kann, kann nicht echt sein. Du hast das Echte schon. Du brauchst nur noch das Falsche wegzunehmen.

Man kann es auch so ausdrücken: Ein Meister nimmt dir all das weg, was du nicht wirklich hast, und gibt dir das zurück, was du wirklich hast. Meditation ist einfach nur der Mut, still und allein zu sein. Langsam und allmählich beginnst du dann eine neue Qualität in dir zu verspüren, eine neue Lebendigkeit, eine neue Schönheit, eine neue Intelligenz, die nicht von anderen geborgt ist, die in dir selber wächst. Sie wurzelt in deiner Existenz. Und wenn du kein Feigling bist, wird sie zur Blüte kommen und Früchte tragen.

Nur mutige Menschen, nur Menschen mit Mumm können religiös sein. Nicht die Kirchgänger — das sind Feiglinge! Nicht die Hindus, nicht die Mohammedaner, nicht die Christen – sie verschließen sich der Suche. Sie bleiben bei ihresgleichen, sie versuchen ihre falsche Identität nur noch mehr zu festigen.

Du bist voller Leben, voller Bewusstsein, voll von einer unbeschreiblichen Sensibilität zur Welt gekommen. Schau dir nur mal ein kleines Kind an! Schaue ihm in die Augen, nimm diese Frische wahr. All das wird von einer falschen Persönlichkeit zugeschüttet.

Habe keine Angst. Du kannst nur das verlieren, was sowieso verloren gehen muss — und je früher, desto besser! Denn je länger das Falsche bleibt, desto stärker wird es.
Und niemand weiß, was morgen sein wird.

Stirb nicht, bevor du dein authentisches Wesen verwirklicht hast.

Nur die wenigen Menschen, die ihr Leben authentisch gelebt haben und die authentisch gestorben sind, sind wirklich gesegnet, denn sie wissen, dass das Leben ewig währt und der Tod eine Fiktion ist.


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