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Im Bett mit Buddha

Vergessen Sie den Orgasmus, den Sie kennen.
Hören Sie auf, an eine gute Nummer zu denken.
Gehen Sie lieber den Weg der Ekstase, Hingabe und Liebe.
DANN ERFAHREN SIE ALLES, WAS SIE SCHON IMMER ÜBER SICH UND SEX WISSEN WOLLTEN.
Genau das ist Tantra.

buddha


Wir waren ungefähr zwanzig unerlöste Shivas und Shaktis in einem Souterrain-Raum im 9. Wiener Bezirk. Amrit und Helena hießen unsere Tantra-Lehrer. Es war ein Offener Abend für Einsteiger und Fortgeschrittene. Für Leute mit vagem Interesse an der Verschmelzung von yin und yang.
Der Duft von Räucherstäbchen lag in der Luft. Sanfte Musik im Hintergrund. Amrit erzählte von der Befreiung der sexuellen Energien, vom Loslassen, vom Spüren.
Und Helena von einem „wunderschönen Garten“, der nur darauf warten würde, von uns „betreten zu werden“. Auf dem Weg dorthin würden wir allerdings auf Grenzen stoßen. Nämlich auf unsere eigenen. Konnte ich mir nicht wirklich vorstellen.

Intime Worte
Einen halbstündigen Tantra-Tanz später stand ich vor der ersten Hürde: Wir sollten einfach durch den Raum gehen, jedem, dem wir dabei begegnen, möglichst in die Augen schauen – und dabei das Wort „ich“ sagen. Eine Runde später „du“, in der übernächsten „wir“.
Intime Worte, wenn man  bedenkt, dass vor dem Seminar kaum einer den anderen kannte. Allein die ichs, die jeder zuvor an sich selbst richten sollte, klangen nur bei wenigen mit dem Brustton tiefster Überzeugung.
Außerdem sah ich plötzlich überhaupt keinen Grund mehr, mich den anderen zu nähern. Was enormen Widerstand gegen die ganze Situation zur Folge hatte.
Als meine Freundin dann noch mit selten erlebter Offenheit vor einem durchtrainierten Mittdreißiger stand und ein hingehauchtes „du“ entließ, war ich an der nächsten Grenze: Eifersucht.

Ich versuchte das gleiche mit einer attraktiven Rothaarigen – quasi als Retourkutsche. Mein „du“ an sie klang kläglich. Das „wir“, das ich gleich nachschob, nicht besser. Gleichzeitig stand ich vor Grenzbalken Nummer 4: dämliche Macht-Spielchen mit deinem Partner – ein weiteres Manko aus tantrischer Sicht.

Was mich beruhigte, waren zwei Tatsachen: dass es zum einen den anderen wohl nicht anders ging. Wer weiß – vielleicht hatten sie gerade eine Schweine-Wut auf ihre Chefs oder Mütter im Bauch. Und dass zum anderen simple Atemtechniken genügen, mit unliebsamen Gefühlen halbwegs umzugehen. Denn bewusstes, tiefes Atmen bringt Energien ins Spiel, die wie frischer Wind sind. Trotzdem ging ich in der Pause nach Hause. Ich hatte die Nase erstmal voll von meinen Grenzen.

Hinausgezögerter Orgasmus
In dieser Nacht erschien mir Shakti im Traum. Die weibliche Liebesgöttin der altindischen Mythologie. Ich erkannte sie auf Anhieb an ihren goldenen Armreifen. Sie sah mir tief in die Augen und fragte mich, ob ich schon jemals eine Frau geliebt habe.
Klar, sagte ich leichtherzig, schon einige. Und beeilte mich, hinzuzufügen, dass ich dabei immer versuche, meinen Orgasmus soweit hinauszuzögern, dass jede die Chance hat, vor oder mit mir zu kommen.

So, so, flüsterte sie, das hältst du also für Hingabe, Vereinigung, Liebe und Ekstase. Damit hatte sie mich. Dann verschwand sie.

Om Mani Padme Hum - Das Juwel ist in der LotosblüteAls ich am nächsten Tag wach wurde, war mir über Tantra folgendes klar: Es ist nicht irgendeine spirituelle Glaubensrichtung mit starren Ritualen, sondern ein Weg der Erfahrung mittels Atem, Stimme und Bewegung. Und noch etwas war klar: Mag Ekstase auch der Gipfel sein, der Weg hinauf führt durchs Unterholz der eigenen Psyche, durch den Wildwuchs chronischer Verspannungen, früherer Verletzungen und Enttäuschungen – und der absurden Hoffnung, dass ein anderer Mensch dich von deinem eigenen Dilemma erlösen kann.

IMMER WIEDER

Immer und immer wieder
bestürme ich euch
und verlange:
Sagt mir,
wo´s langgeht!

Immer und immer wieder
muss ich
zutiefst enttäuscht
erkennen:
Ihr wißt es nicht.

Doch unverdrossen
hoffe ich
immer wieder
auf den einen
der es weiß

Soviel bequemer wärs

© Helena Krivan, 1997

Nein, man selbst muss es machen. Denn Tantra, das ist die Reise nach innen. Zunächst zu den Blockaden. Dann zu den Wurzeln tiefer erotischer Liebeserfahrungen. Dann Richtung Nirwana.

Gipfel höchster Erregung
Das Ticket dazu sind unsere sexuellen Energien. Tantra transformiert sie und nutzt sie. Um sie nutzen zu können, vermeiden Tantriker unter anderem den herkömmlichen Orgasmus, der als reine Spannungsentladung gilt. Als unerwünschte und sinnlose Energieverschwendung, die immer nur mit Erschöpfung der Beteiligten endet. Gipfel – und energetischer Absturz.

Shiva und Shakti in ekstatischer UmarmungTantriker suchen den gegenteiligen Effekt. Sie fallen nicht übereinander her, um möglichst schnell möglichst explosiv zu kommen. Sie lassen sich Zeit, jede Menge Zeit. Sie gehen bis knapp vor den Gipfel höchster Erregung, gleiten dann aber in eine Art meditative Entspannung. Da, wo unsereins bis zum Abwinken weitermacht, wird im Tantra einfach losgelassen bis zum Stillstand aller Bewegungen. Das tantrische Pärchen, körperlich miteinander verschmolzen, bewegt sich nur noch, um das Feuer der Lust zu schüren. Und irgendwann, sagen die erfahrenen, öffnet sich dann dieser Raum. Der tantrische Space. Die Herzebene. Nur so kann dieser Energie-Kreislauf zünden, der grenzenlose Vereinigung als Gefühl des Einsseins transportiert. Das ist der tantrische Orgasmus. Er soll ganz, ganz anders sein.

Sexuelle Autodidakten
„Sex“, erklärt mir Dr. Amrit R. Fuchs, einer der wenigen Tantra-Lehrer in Österreich, „ist unsere stärkste Energie. Wir sind leider sexuelle Autodidakten. Schlechte Erfahrungen, Verletzungen, Trennungen – das alles blockiert diese Energie. Tantra bedeutet, sie von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien – und nicht, frei von der Sexualität zu werden.“
Schon mal gegen tierisch intensive Lustgefühle angekämpft? Vergessen Sie’s – das macht alles nur schlimmer. Deshalb gehen Tantriker direkt auf das Ding zu. Tantra, das heißt einlassen, rauslassen, zulassen. Die eigenen Schwächen durch Akzeptanz erlösen.

Und immer wieder aus dem Kopf rauskommen. Sagen sie alle, die bereits ein, zwei Jahre den tatrischen Weg über Seminare und Gruppendynamik beschreiten. Auch wenn die Schritte – wie sie zugeben – teils winzigst sind. Wieder spüren und berühren. Atmen und kosen, die Energie wahrnehmen, die durch die Meridiane des Körpers steigt und die Poren wieder zum Blühen bringt. Alles ein bisschen mehr wie eine Party sehen, wie ein Spiel. Happy sein. Da sein, wo man ist, präsent sein, auch wenn man nur Kaffee kocht.

Tantra, erfahre ich, macht das Leben einfacher. Auch wenn man nur aufhört zu denken, man sei zu dick oder sonst etwas. Oder grundsätzlich ein Looser der Liebe. Tantra sagt dir, wie schön ein Mensch sein kann, egal welches Gesicht er hat. Tantra flüstert dir, dass Sex nichts Schmutziges ist. Sondern cool, heilig, magisch, fantastisch. Tantra meint, dass man eins werden kann. Mit sich. Und mit einem anderen. Und mit mehreren anderen.

Nicht Geilheit, sondern Lust
Wohlgemerkt: Wir reden hier nicht über’s Bumsen. Tantra ist nicht – was viele glauben – Gruppensex. Es mag zwar bei Fortgeschrittenen-Seminaren, die über ganze Wochenenden gehen, zu Intimitäten jenseits der klassischen Zweierbeziehung kommen, aber die Intention dahinter ist nicht Geilheit, sondern Lust. An sich. Und anderen. Ist ein ziemlicher Unterschied.

Vielleicht würden Sie jetzt gern ein paar gute asiatische Stellungen erfahren. Ein paar Supertricks fürs Love-Hotel der Träume. Hätte ich auch gerne. Sorry. Darum geht’s nicht. Die beste Stellung ist bei Tantra immer jene, die zwei Menschen intuitiv einnehmen. Die aus dem freien Spiel heraus entsteht. Tantra sieht sogar die Schöpfung der Welt als einen erotischen Liebesakt.
Die größten Lehrer und Tantra-Mystiker schockierten immer wieder die Gesellschaft ihrer Zeit, weil sie revolutionäre, verrückte und verblüffende Wahrheiten verbreiteten. Weil sie weder moralisch noch unmoralisch waren, sondern a-moralisch. Weil sie Ekstase lehrten. Und nicht Askese. Kann ich voll verstehen. Aber noch fehlte mir der wichtigste Baustein: der Schlüssel zu Tantra. Das Gefühl. Kein Buch kann es vermitteln und keine Geschichte.

Bewegungen des Beckens
Es ist, als würde man nach langer Zeit ins eigene Wohnzimmer zurückkommen. Sagt Amrit darüber leise. Irgendwann mitten drin. Wir sind zu viert in seiner Wohnung am Flötzersteig. Er und Helena, meine Freundin und ich. Die Einsicht, dass man keine Geschichte über Tantra schreiben kann, wenn man das feeling nicht kennt, führte zu einer seltenen Gelegenheit: tantrischer Privat-Unterricht, sozusagen. Lehrer und Schüler im kleinsten Rahmen, einen Abend lang.
Wir schütteln unsere Körper, wir bewegen unsere Becken. Wir stoßen Laute aus, mit denen nicht zu rechnen war. Wir lassen Verspannungen und Alltag los. Entfernen uns wie kleine Raumschiffe von Ängsten, Hemmungen und den Gesetzen unserer kopfdiktierten Zivilisation. Buddha sei Dank, dass das gar nicht so schwer ist.
Nach einer Meditation beginnen wir, rittlings auf Pölstern sitzend, Kundalini zu wecken. Nach altindischem Mythos ist dies eine Schlange reinster Energie, die am Grund des Beckens schläft. Einmal erwacht, soll sie durch die Kanäle im Rückenmark durch die Chakren nach oben steigen. Dringt sie durch die Schädeldecke in den Kosmos hinaus, passiert Erleuchtung. Heißt es im Tantra. Ich war inzwischen zumindest schon sexy. Nicht geil, sondern erotisch geladen.
Grundtechniken des Energie-Hochziehens brachten mich in die glückliche Lage, zumindest Funken davon zu mir nach oben zu holen. Damit kam eine neue Dynamik ins Spiel, eine Art von Trance.

Keine emotionale Mauer
Sie brachte uns auf die tantrische Herz-Ebene. Direkt zu ihrer Tür. Sie war offen. Ich schlug – nach Stunden oder Minuten? – die Augen auf und sah mich um. Der erste Eindruck war, das Licht im Raum sei heller geworden. Der zweite, dass ich mehr Raum hatte, um zu atmen. Der dritte Eindruck war der schönste: Man kann ihn damit vergleichen, gerade aus einem langen Schlaf aufgewacht zu sein. Aber mit einem erweiterten Bewusstsein.

Darin gab es keine emotionalen Verletzungen. Keine Wut. Keine Unsicherheit. Keine Zweifel. Keine Vergangenheit. Keine Zukunft. Keine emotionale Mauer anderen gegenüber. Nichts das man hätte vermissen können.
Ich würde jetzt gern schreiben, der Zustand hätte bis heute angedauert. Wäre eine glatte Lüge. Kein Anfänger hat die nötige Kraft und Aufmerksamkeit für diesen Level. Nicht einmal für eine Stunde.

„Aber wenn du ihn einmal erfahren hast, dann wirst du Shiva solange in dir suchen, bis du ihn gefunden hast.“ Sagte Shakti in der Nacht darauf, lächelte mich an, und war seitdem verschwunden.
Geht völlig in Ordnung.
Hab‘ schließlich noch eine Schlange wachzurütteln.

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